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Das Schlusswort von Grigori Pasko
(wird vor Gericht verkЭndet am 16. Juli 1999)

     Die Strafsache ist kein Fall nach dem Artikel vom Landesverrat: In der Gerichtsverhandlung darЭber kam dieser Artikel praktisch nicht zur Sprache. Alles, wovon die Teilnehmer am Prozess, einschliesslich aller Zeugen, sprachen, betraf ausschliesslich meine berufliche TДtigkeit als Journalist.
     In unserem Land wird die Freiheit des Wortes durch die Gesetze garantiert. Die Freiheit des Menschen jedoch, der dieses Wort ausgesprochen oder publiziert hat, wird durch nichts garantiert und hДngt von der WillkЭr von Schuften ab. Ich habe mich davon durch meine persЖnliche Erfahrung Эberzeugt.
     Man sagt, die Geschichte wiederhole sich zweimal: Das erste Mal als TragЖdie, das zweite Mal als Farce. Aber auch die Farce kann tragisch werden. Die Geschichte der Zeit des Spionage-Wahns in den dreissiger Jahren war eine TragЖdie unseres Volkes. Die Geschichte der Nachfolger des NKWD, welche als Farce begann, kann sich heute in eine TragЖdie verwandeln - in die TragЖdie eines unschuldig verurteilten Menschen. Nur ein unabДngiges, uneigennЭtziges und gerechtes Gericht kann der sich abspielenden TragЖdie ein Ende bereiten. Gibt es bei uns ein solches Gericht?
     Alexander der Zweite sagte dem Vorsitzenden des Petersburger Kreisgerichts A.F. Koni in der Angelegenheit des Mordes des Polizeichefs Trepov durch Vera Sasulitsch: "... Die Regierung darf vom Gericht und von Ihnen besondere GefДlligkeiten erwarten". Anatoli Fedorowitsch antwortete dem Zaren: "Das Gericht erweist keine GefДlligkeiten, sondern beschliesst Urteile".
     Ich bitte das verehrte Gericht, in der jetzigen Sache ein Urteil zu beschliessen. Der FSB und die Staatsanwaltschaft der TOF (Pazifikflotte) sind schon zur genЭge in GefДlligkeiten steckengeblieben.
     Im Schlusswort erlaube ich mir, die Aufmerksamkeit des Gerichts nochmals auf diejenigen UmstДnde zu richten, welche meiner Meinung nach - wie nicht zu ignorieren ist - der Gier sind unter einem grossen Wunsch.
     In der in Russland herrschenden Meinung zum Strafrechts hat sich die Ansicht begrЭndet, dass ein Verbrechen als vollendet zu betrachten ist bei Eintritt des Ergebnisses. Aus den Unterlagen zur Strafsache, welche im Zusammenhang mit mir ungesetzlich angestrengt wurde, geht deutlich hervor, dass meine journalistischen gegenseitigen Beziehungen mit japanischen Kollegen Russland nicht den geringsten Schaden zugefЭgt haben und auch nicht zufЭgen konnten, denn erstens habe ich nicht gegen das Gesetz verstossen, und zweitens unterliegt gemДss Gesetzgebung der Russischen FЖderation die Umweltschutz-Thematik von journalistischen Recherchen nicht der Geheimhaltung. Wenn ausserdem die Untersuchung objektiv und allseitig gefЭhrt worden wДre, dann hДtte man genЭgend Beweise zusammentragen kЖnnen fЭr die Beteiligung meiner Publikationen und Filme an der Zahlung von 25 Millionen Dollar durch Japan fЭr den Bau einer schwimmenden Fabrik zur Reinigung von ZhRO in der TOF.
     In der Anklageschrift wird so oft das Wort "Staatsgeheimnis" verwendet, dass es schon, wenigstens seitens der Anklage, seine ursprЭngliche Bedeutung eingebЭsst hat. Das Gesetz "Vom Staatsgeheimnis" der Russischen FЖderation behandelt das Staatsgeheimnis als durch den Staat geschЭtzte Kenntnisse auf dem Gebiet militДrischer, politischer, wirtschaftlicher und anderer TДtigkeiten, deren Verbreitung der Sicherheit Russlands Schaden zufЭgen kann. Wenn man die gegebene Definition auf die Unterlagen anwendet, welche angeblich bei mir in meiner Wohmung beschlagnahmt wurden, dann waren erstens die Kenntnisse, die in Ihnen enthalten sind, nicht durch den Staat geschЭtzt, da sie keinen Geheimhaltungsvermerk enthielten. Zweitens betreffen die Kenntnisse, die in den Dokumenten enthalten sind, keine einzige Art von TДtigkeit, welche in der Definition des Begriffs "Staatsgeheimnis" aufgezДhlt wДre. Drittens gibt es in der Sache keinen einzigen Hinweis auf irgendeinen Schaden der Sicherheit Russlands, ja nicht einmal darauf, dass die gegebenen Kenntnisse verbreitet oder Эbermittelt wurden oder irgendwem bekannt wurden.
     Im Laufe der Gerichtsverhandlung hatten wir die MЖglichkeit, uns davon zu Эberzeugen, dass durch die Untersuchung und dann durch die Staatsanwaltschaft der TOF grundlegende Forderungen des Gesetzgebers Russlands - eine Reihe Artikel der Verfassung der Russischen FЖderation - grob verletzt wurden. Auf diese beziehen sich: Die Unantastbarkeit des Privatlebens (Art. 12), die Unschuldsvermutung, der Wettstreit und die Gleichberechtigung der Parteien (Art. 12), die Unschuldsvermutung, die Befreiung des Angeklagten von der Pflicht des Beweises, die Auslegung von nicht zu beseitigenden Zweifeln zugunsten des Angeklagten (Art. 49), die UnzulДssigkeit von Beweisen, welche unter Verletzung des Gesetzes erhalten wurden (Art. 50); das Privileg gegen die Selbstanschuldigung, die ImmunitДt von Zeugen (Art. 51) und andere.
     Mehr als zweihundert Prozess-Dokumente der jetzigen Strafsache enthalten Beweise dafЭr, dass sie auf ungesetzlichem Wege erworben wurden. Dazu zДhlen Dokumente, welche mir am Zoll beschlagnahmt wurden, und das Protokoll der Durchsuchung der Wohnung. Schon der rechtzeitige Ausschluss aus den Unterlagen des Falles von nur zwei dieser Dokumente mЭsste der WillkЭr im VerhДltnis zu einem unschuldigen Menschen ein Ende bereiten. Aber die WillkЭr dauert an mit einer geradezu wahnwitzigen Psychose, was der Reihe nach bezeugt: Personen, welche in ungesetzlicher Weise ein Strafverfahren erЖffnet haben, welche einen Unschuldigen ins GefДngnis gesperrt haben, welche das Material des Verfahrens fabriziert haben und welche dazu noch die Organe der Rechtspflege praktisch irregefЭhrt haben, mЭssen die strafrechtliche Verantwortung fЭr das getane tragen.
     Von einer Vielzahl von Tatsachen der FДlschung von Beweisen habe ich dem Gericht alle nЖtigen schriftlichen Zeugenaussagen eingereicht mit konkreter Angabe der BДnde, der Fall-BlДtter und der Artikel der UPK der RSFSR (Russische Sozialistische FЖderative Sowjetrepublik) und der UK der RF (Russischen FЖderation). Das Gericht darf nicht nur wegen dieser erfolgten Verletzungen der Gesetzlichkeit Massnahmen ergreifen, sondern es ist dazu auch verpflichtet.
     Aber sogar die gefДlschten Beweise enthalten keine einzige Tatsache, welche meine Schuld beweisen wЭrde. Aus Art. 49 der Verfassung der Russischen FЖderation geht die wichtige Situation hervor, die sich aus dem Prinzip des Artikels "nicht bewiesene Schuld des Angeklagten ist in ihren rechtlichen Folgen der BEWIESENEN UNSCHULD gleizustellen." ergibt.
     Die Mitarbeiter des FSB Эbten auf mich im Verlauf der Voruntersuchung allerlei psychologischen und physischen Druck aus und wollten von mir unbedingt ein Bekenntnis meiner Schuld hЖren. Ich habe mich entschieden, beim Aussprechen meines Schlussworts der Anklageseite diesen Gefallen zu tun. Ja, ich bin schuldig:
     darin, dass ich ehrlich die Pflicht eines Journalisten getan habe.
     darin, dass ich ein Patriot meines Vaterlandes Russland bin, dass ich bestrebt war, beizutragen zur Anwerbung von auslДndischen Investitionen in das Land zur LЖsung von Umweltproblemen;
     darin, dass ich nicht bemerkt habe, wie in unserem Lande die Glasnost aufgehЖrt hat und die Keime der Demokratie eingetrocknet sind.
     darin, dass ich die Gemeinheit und den Zynismus, die Rachsucht und die Gesetzlosigkeit von Seiten des KGB-FSB unterschДtzt habe, mit welchen zusammenzuarbeiten ich mich die ganze Zeit geweigert habe; darin, dass ich die Existenz von solchen menschlichen Eigenschaften wie Feigheit, Bosheit, Neid, Stumpfsinn und Schmeichelei vergessen habe, welche einigen Vertretern ddes FSB und der Staatsanwaltschaft der TOF - und nicht nur der TOF - eigen sind.
     darin, dass ich, wДhrend ich meine Pflicht als Journalist erfЭllte, mit meinen Publikationen in SMI die wirklichen Feinde und VerrДter der Heimat dabei gestЖrt habe, Gesetzlosigkeit zu schaffen, die ReichtЭmer des Landes in den Wind zu lassen oder dies nicht zu verhindern.
     Ich bin "schuldig" darin, dass ich mich nicht verleumdet habe, dass ich keine Schuld gestanden habe, dass ich keine Angst gehabt habe vor den Drohungen mit physischen Bestrafung. Ich bin schuldig darin, dass ich existiere und dass ich noch lebendig bin.
     Ich lenke die Aufmerksamkeit des Gerichts wieder und immer wieder auf die AbsurditДt und die Unbewiesenheit der an mich gerichteten Anklagen. All diese Bestimmtheit der Behauptungen der Anklage, all dieser schwЭlstige und gellende Unsinn werden von der Anklageseite nur benЖtigt, um die juristische Nichtigkeit und den verbrecherischen Kern der Behauptungen zu verschleiern.
     Deutlich sichtbar hinter all den vielzДhligen Verletzungen der Gesetzlichkeit durch den FSB und durch die Staatsanwaltschaft sind die zynischen Angewohnheiten von Leuten, denen in diesem Leben alles einzig nur kraft ihrer ZugehЖrigkeit zu den sogenannten das Recht beschЭtzenden Organen von der Hand geht. Sie waren hundertprozentig davon Эberzeugt, dass da irgend ein kleiner Journalist vor ihnen erschrecken und sich selbst verleumden wЭrde: Ist es ihrer Meinung nach doch nicht mЖglich, dass er nicht erschrickt, denn im sowjetischen Menschen sitzt die Angst vor den Organen in den Genen. Diese Angst ist stДrker als alles, denn, wie jemand schrieb, sie "drЭckt von innen, wie vom Namen der unzДhligen Repressionsopfer aller Generationen".
     Dieses Strafverfahren wird in die Geschichte der Rechtssprechung Russlands eingehen als Erscheinung des RЭckfalls des NKWD-KGB des Stalin-Regimes, als Versuch, in Russland die politische SchnЭffelei, die Zensur, die Angst, die Gestapo-Methoden und die Gesetzlosigkeit in allen ihren unmenschlichen Erscheinungen wiederaufleben zu lassen; als Tatsache ohne PrДzedenzfall der FДlschung ausnahmslos aller Beweise unter deutlicher Einsicht der Seite der Anklage in ihre widerrechtlichen Handlungen.
     Ein Schuldspruch in beliebiger Form wЭrde nur die Tatsache der Existenz von Gesetzlosigkeit in unserem Staat unterstreichen.
     Ein Freispruch ist das einzig Gerechte in diesem Verfahren - er wЭrde die Namen der Richter in die LehrbЭcher der Justiz eingehen lassen, als geschaffener PrДzedenzfall fЭr Widerstand gegen den Druck von Gesetzlosigkeit und WillkЭr von Seiten der Organe des FSB und der Staatsanwaltschaft, und wЭrde nicht nur Weisheit und Mut zeigen, sondern auch ein Verbleiben auf den Positionen von beruflicher Pflicht, Ehre und Anstand.
     Ich rufe das Gericht auf, nicht einzustimmen in den Triumph der Gesetzlosigkeit, mich und die Gesellschaft zu schЭtzen vor einer solchen staatlichen Sicherheit, welche der Gesetze Russlands und der internationalen gesetzgebenden Urkunden spottet, welche auf jede Art und Weise die Menschenrechte verletzt und sowohl sich selbst als auch unseren Staat in seinen Bestrebungen hin zur Demokratie diskreditiert.

Uebersetzung von Christian Rene Gut